Die meisten Landwirte würden gern auf eine Tierhaltung mit mehr Platz, Beschäftigungsmaterialien und Stroheinstreu umstellen, aber die Investitionskosten sind enorm. Ein derart optimierter Umbau oder gar Stallneubau erzeugt Kosten in Millionenhöhe, die finanziert und erwirtschaftet werden müssen.
Das vorliegende Gesetz soll durch die Einführung einer verbindlichen Tierhaltungskenn-zeichnung den Endverbraucher in die Lage versetzen, beim Einkauf bewusst Haltungsformen zu wählen, die sich vom gesetzlichen Mindeststandard abheben. Eine Gesetzesvorlage, die eine Verbesserung der Tierhaltung ermöglicht, befürworte ich grundsätzlich. Dem heute vorgelegten Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung stehe ich allerdings kritisch gegenüber und lehne es aus folgenden Punkten ab:
1) Nur für eine Tierart gültig - Schweine
Die Tierhaltungskennzeichnungspflicht bezieht sich nur auf die Schweinehaltung, Rinder, Schafe, Geflügel sind davon bislang ausgenommen.
2) Die Ferkelerzeugung wird in die Haltungskennzeichnung nicht einbezogen.
Der größte Kritikpunkt liegt darin, dass in der Kennzeichnung nur ca. 60 Prozent des Schweinelebens abgebildet sind, weil die Sauenhaltung und die damit verbundene Ferkelaufzucht nicht berücksichtigt werden. Die Kennzeichnungspflicht bezieht sich nur auf die Haltung von Mastschweinen. Es fehlt die Einbeziehung der gesamten Produktionskette. Damit kann z.B. Fleisch von Tieren in einer hohen Haltungsstufe gekennzeichnet werden, die als Ferkel außerhalb von Deutschland betäubungslos kastriert und anschließend importiert worden sind. Bereits heute kommt jedes dritte Ferkel aus dem Ausland. Bei der Produktion wird deutsches Tierschutzrecht unterlaufen und dennoch kann das Tier nach der Mast hierzulande mithilfe dieses neuen Gesetzes mit der besten Haltungsstufe ausgezeichnet werden.
Dem Verbraucher wird suggeriert, dass es Schweinen in den höheren Haltungsstufen allgemein besser geht als Schweinen, die in der Haltungsstufe „Stall“ gehalten werden. Dass es sich dabei nur um den letzten Haltungsabschnitt handelt, werden viele Verbraucher nicht wissen und auch nicht verstehen.
3) Ausländische Ware bleibt nichtkennzeichnungspflichtig.
Die Tierhalter in Deutschland werden mit unnötiger und unproduktiver Bürokratie belastet, während die übrigen Stufen der Vermarktungskette sowie ausländische Anbieter per Selbstauskunft und frei von belastbaren Kontrollkonzepten agieren können. Dass ausländische Betriebe lediglich „vergleichbare“ Anforderungen erfüllen müssen und nicht etwa „identische“ Anforderungen, sowie die Umgehungsmöglichkeiten für Kontrollen führt zur Ungleichbehandlung ausländischer und heimischer Betriebe.
4) Wichtige Absatzwege unterliegen keiner Kennzeichnungspflicht
Die Gastronomie, die Außer-Haus-Verpflegung und die Fleischverarbeitung, also be- und verarbeitete Waren wie Wurst und mariniertes Fleisch wurden in das Gesetz nicht mit einbezogen. Damit werden schätzungsweise zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes in Deutschland kennzeichnungsfrei bleiben.
Zudem ist ein geplantes Förderprogramm für Stallumbauten, welche das Tierhaltungskenn-zeichnungsgesetz flankieren soll, von der Bundesregierung noch nicht erarbeitet. Zugesichert werden sollen Finanzmittel in Höhe von 1 Milliarde Euro, die allerdings für den Umbau der Tierhaltung nicht ausreichen werden, das steht heute schon fest. Unberücksichtigt blieben bisher die Empfehlungen des „Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung“ (Borchert-Kommission), das bereits in der letzten Legislaturperiode Finanzierungswege zum Umbau der Tierhaltung aufgezeigt hatte.
All die hier genannten wesentlichen Faktoren sind in der Gesetzesvorlage unberücksichtigt geblieben und bieten keine schlüssige Vorgehensweise. Es braucht ein Gesamtkonzept für den Umbau der Tierhaltung, in dem die Tierhaltungsstandards angehoben werden und Betriebe Perspektiven und Anreize bekommen, diese Standards selbst weiterzuentwickeln. Statt neue Normen zu setzen, wird hier lediglich der Status Quo festgehalten. In der Konsequenz wird es dazu führen, dass unsere heimischen Landwirte vermehrt mit der Tierhaltung aufhören, die Tierhaltung ins Ausland verlagert und dann Fleisch aus Ländern importiert wird, deren Haltungsbedingungen und Produktionsstandards weitaus niedriger sind als hierzulande. Weder den Tieren, noch den Wünschen des Verbrauchers, noch der heimischen bäuerlichen Strukturen ist damit gedient.
Zusammengenommen veranlasst all dies mich, dieses Gesetz mit Vehemenz abzulehnen, da es als unzureichendes Stückwerk weit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt und deutsches Tierschutzrecht sogar aushebelt.
Berlin, 16.06.2023,
Hermann Färber